Was machst du eigentlich so als Coach? Wie ich einem Freund meinen Job erklärte

Difficult roads lead to beautiful destinations

Mit manchen Leuten kann man sich einfach für ein gutes Gespräch verabreden. Damit meine ich: Es gibt eine Garantie, dass das Gespräch gut wird, sprich: vor allem erhellend und aufmerksam. Mit meinem Freund Jochen ist das so. Er und ich haben uns immer etwas zu sagen und noch öfter etwas zu fragen.

Jochen Metzger ist freiberuflicher Journalist und Autor, er schreibt viel über psychologische Themen. Bei unserem letzten Treffen hat er zwischendrin einfach sein Diktiergerät angestellt und ein Interview mit mir geführt. War ein spannendes Experiment, jemandem, der mich so gut kennt, einen Teil meines Jobs zu erklären.

Okay, Andrea Du bist Coach. Die Leute kommen zu dir, weil sie mit irgendwas in ihrem Leben nicht klarkommen. Warum glaubst du, diese Dinge besser zu wissen als sie?
Ich glaube, das Gute an mir ist, dass ich weiß, was ich alles nicht weiß. Und dass ich meine Klient*innen deshalb Dinge fragen kann, die sie sich nicht mehr fragen würden, weil sie sich selbst immer die gleichen Antworten darauf geben. Im Coaching stelle ich Fragen, die gleichzeitig grundsätzlich und unvoreingenommen sind, wie etwa „Warum gehst du jeden Tag zur Arbeit?“.

Ein simples Warum kann mein Gegenüber dazu bringen, ganz neue Denkbahnen zu beschreiten. Was ich dem Coachee schenke, sind maximal geöffnete Augen und Ohren. Ich nehme auf, was sich in ihr oder ihm gerade abspielt und versuche, durch steuernde Fragen ihr oder sein Selbstbild zu aktualisieren.

Was heißt das denn: das Selbstbild zu aktualisieren? Soll man erkennen, wer man wirklich ist? Oder reicht es, zu checken, wie’s einem gerade geht? 
Beides. Es geht auch darum, dass sie erkennen, wie sehr sie sich gerade selbst limitieren, sich unter Druck setzen, sich das Leben unnötig schwer machen. 

Machen wir das mal konkret. Ich rufe also bei dir an, … hm … sagen wir mal mit folgendem Fall: Ich mache seit Jahren einen Job, der mir nicht gefällt. Die Chefin nervt und alle Freunde fragen: Wann hörst du da endlich auf? All das erzähle ich dir. Und du hörst dir das an und denkst: „Jochen muss so schnell wie möglich da raus!“. Würdest du mir das genau so sagen?
Nein. 

Aha! Und was machst du stattdessen?
Ich frage ganz viel und höre mir an, welche Faktoren bei dir das größte Unwohlsein verursachen und weshalb genau das so ist.

Okay, lass mal hören, wie das geht. Wir spielen das mal durch. Ich bin dein Klient und sitze bei dir und sage: Meine Chefin ist so was von blöd, ich wusste gleich, die Arbeit ist nichts für mich, aber die haben mich halt gefragt und jetzt sitze ich da seit Jahren ...
Hast du denn schon einmal probiert, etwas an der Situation für dich zu verbessern?

Ey, du kennst meine Chefin nicht. Die macht einen fertig, wenn man was falsch macht. Jeden macht die fertig. Da kannst du nicht einfach hingehen und sagen: Mir passt dies nicht oder das nicht. 
Versuch das Ganze mal aus der Perspektive einer Kollegin oder eines Kollegen zu betrachten, die oder der den Job gern macht. Was würden die dir raten?

Ja, so eine Kollegin hab ich. Die liebt diesen Job. Die würde mir raten, dass ich mich zusammenreißen soll. 
Und was kannst du mit diesem Ratschlag anfangen?

Ich weiß nicht, die macht sich das alles so einfach, aber für mich ist es das nicht.
Ich habe die Hypothese, dass der Stress im Job bei dir mit den Werten zusammenhängen könnte, die dir wichtig sind. 

Werte? Also zum Beispiel der Wert: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz?“
Ja, genau. Wobei das schon ein zum Glaubenssatz verdichteter Wert ist.

Kann man solche Glaubenssätze denn loswerden?
Ja, kann man. Aber ich halte Glaubenssätze nur dann für schwierig, wenn sie dich in deinem Handeln einschränken oder du dich selbst quälst, um ihnen gerecht zu werden. Sie können aber auch positiv eine Richtschnur für dich sein. Etwa „Ehrlichkeit zahlt sich aus“. Dann steckt in diesem Glaubenssatz ein Wert, an den du glaubst und nach dem du dein Leben ausrichtest.

Coaching ist extrem lösungs- und stärkenorientiert. Wenn ein Glaubenssatz einem hilft, kann er ein guter Begleiter sein. Aber daran festzuklammern aus purer Prinzipienreiterei, engt dich ein und macht unfrei in den eigenen Entscheidungen.

Wann kommen die Leute zu dir?
Klienten kommen häufig zu mir, wenn sie feststellen, dass das, was lange gut lief, jetzt auf irgendeine Weise schwierig oder belastend für sie geworden ist. Das ist dann fast immer der Punkt, an dem sie in Kontakt mit ihren wahren Bedürfnissen kommen. Es kommt bei ihnen das Gefühl auf, dass da noch mehr sein muss. Auch die Sinnfrage wird nach einigen Jahren im Job fast bei jeder und jedem akut.

Hm. Warte mal. Du bist doch Business-Coach, oder? Ich hab immer gedacht: Da verrät man den Leuten, wie sie Kohle und Karriere machen. 
Solche Anfragen habe ich überhaupt nicht, wohl, weil schon auf meiner Website erkennbar ist, dass ich dafür nicht stehe. Solche Leute gehen zum Trainer und lassen sich fit machen für den nächsten Wettkampf am Konferenztisch.

Ich hatte aber neulich eine junge Klientin, die die Chance auf eine große Karriere hatte und nicht wusste, ob sie den angebotenen Führungsposten annehmen soll. Ihre Angst war, dann eine andere werden zu müssen. Ich habe ihr Mut gemacht, dass sie diese Rolle auch ohne Ellenbogen ausfüllen kann, wenn sie souverän dazu steht, dass sie weniger fachliche Erfahrung hat als ihre größtenteils älteren, männlichen Mitarbeiter. Im Sinne von „Ich will mit euch ein Ziel erreichen. Sagt mir, welche Ideen ihr habt, wie wir dort hinkommen und was ihr von mir dafür braucht.“ Also eine Form der dienenden oder coachenden Führung, die zum Glück mehr und mehr angesagt ist.

Erzählst du dabei auch von deinen eigenen Erfahrungen als Führungskraft und gibst schlaue Tipps?
Ja, das mache ich schon. Aber ich versuche kenntlich zu machen, dass ich in dem Moment subjektiv berate. Ich nehme es als Reflexionsangebot, in dem sich mein Gegenüber spiegeln kann. Ich sage: Das ist meine Geschichte und ich weiß nicht, ob sie auch auf dich zutrifft. 

Also keine praktischen Tipps? Niemals?
Doch, manchmal schon, aber oft unterdrücke ich den Impuls, weil diese unmittelbare Hilfestellung den anderen nicht weiterbringt. Einfach so Wissen zu übertragen schwächt den anderen eher, weil er nicht selbst zu diesen Erkenntnissen kommt und so auch weniger Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Nach dem Motto: „Dazu hat mir mein Coach geraten …“ Das eigene Herantasten an eine gute Lösung ist aber das, was jemanden über sich hinauswachsen lässt. 

Jochen Metzger mit Andrea Huss

Jochen und ich beim Interview

Andrea Huss